Sonntag, 8. November 2015

Wenn echte Patina zur Fälschung wird: Ferrari 500 Mondial

Bild: Classicdriver.com
Sonntag Abend: Da blättert man nichtsahnend durch den Classic Driver-Newsletter und dann das: Fotograf Rémy Dargegen, der die Fotos von der Baillon-Sammlung so meisterlich inszenierte, habe sich in die Patina eines Ferrari 500 Mondial verliebt, der (so ein Zufall!) im Dezember von RM Sotheby's versteigert wird.

Bild: ClassicDriver.com

Merkwürdig fleckig, dieser Wagen. Und der Text erklärt auch, warum: Schon 1955 (!!) war der Ferrari von seiner offenbar werksseitig aufgebrachten Lackierung in bleu de France in rot umlackiert worden. 2007 hat der Besitzer diesen roten Lack aber entfernen lassen. "Faszinierend" sei das Ergebnis, schreibt ClassicDriver.

Bild: ClassicDriver.com

Ja, es sieht tatsächlich toll aus. Doch faszinierend finden wir dabei nur eines: Dass hier zwar Patina erhalten, die Geschichte des Fahrzeugs aber trotzdem verfälscht wurde. Denn was auf Dargegens Bildern erkennbar ist, sind wohl vor allem die Schleifspuren der 1955er Lackiervorbereitung. Aller Sorgfalt zum Trotz wurde das Fahrzeug somit in einen Zustand versetzt, den es wahrscheinlich nur zu einem Zeitpunkt und an einem Ort hatte: in der Lackiererei, anno 1955. Und warum? Weil der neuzeitliche Besitzer es aus Geschmacksgründen so wollte, ungeachtet der Fahrzeughistorie.

Manchmal kommt es eben nicht auf die Patina selbst an, sondern auf den Umgang mit ihr.

Sonntag, 1. November 2015

Historisch zugespachtelt: Ein Patina-Fund in Frankreich

Fundstück auf dem Oldtimer-Teilemarkt in Lipsheim: NSU 201 OSL, wahrscheinlich Modell 1938.

Schon mal in Lipsheim gewesen? Nein? Dann wird's Zeit. Auf dem Teilemarkt im Elsaß tauchen jedes Jahr im September noch immer Preziosen auf. Natürlich mit überwiegend französischem Hintergrund – doch sind die Ausnahmen von der Regel denn auch ungleich spektakulärer.

Deutsche Vorkriegsfahrzeuge aus Osteuropa sind spätestens seit Öffnung der Grenzen nichts Ungewöhnliches mehr: Von der Wehrmacht militärisch genutzt, dann aufgegeben und von Privatpersonen repariert, zusammengeflickt, phantasievoll restauriert und bis in die 1980er Jahre mehr oder weniger benutzt – so lautet nicht selten die Geschichte.

Französischer Scheinwerfer mit Ampèremeter, kein Tacho



Wenig bekannt ist, dass viele deutsche Fahrzeuge nach dem Zweiten Weltkrieg auf ähnliche Weise auch in Frankreich überlebt haben – wobei natürlich auch die Möglichkeit besteht, dass schon vor dem Krieg das ein oder andere deutsche Neufahrzeug nach Frankreich verkauft wurde. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass es im Vorkriegsfrankreich opportun war, ein deutsches Fahrzeug zu fahren, aber vielleicht weiß ja unter euch Lesern jemand Genaueres hierzu?

In Lipsheim jedenfalls entdeckte ich diese NSU 201 OSL. Auf dem vorderen Schutzblech trägt sie noch ein französisches Nachkriegsnummernschild, und sie scheint noch recht original zu sein. Es müsste ein 1938er Modell sein.


Hier hat sich der stolze Besitzer verewigt. Plaketten wie diese finden sich an sehr vielen französischen Fahrzeugen

Die Maschine lief im Elsaß, wie auf einer Plakette zu sehen ist, die auf dem Tank vom französischen Besitzer angebracht wurde. Ganz im Stil der Zeit, mit allzeit beschützendem Christophorus. Aber: Die NSU wurde offensichtlich vor ihrer Weiterbenutzung nach dem Krieg gründlich überarbeitet und verändert.

Undefinierbare neue Farbe (graugoldbraun?!?) mit kunstvoll aufgebrachter Linierung
Die ganze Maschine wurde dick neu lackiert, so wie es aussieht von einem "alten Meister" mit Pinsel. Die Farbe ist indes undefinierbar: Sie hat braune, graue, goldene Anteile, scheint aus diversen Resten zusammengerührt worden zu sein. Umso überraschender ist der Befund einer sehr kunstfertig und sorgfältig aufgebrachten Linierung in hellgrün, die jedem Linierer zur Ehre gereichen würde. Irgendjemand wollte die kleine NSU wieder schön und vorzeigbar machen.

Ein anderer Scheinwerfer mit kleinem Ampèremeter und ein Rücklicht wurden verbaut (beide wohl aus französischer Produktion). Ein Tachometer scheint keine besondere Priorität gehabt zu haben.


Der interessanteste Befund war aber der Tank: Ab Werk verfügt er rechts und links über ins Blech gepresste NSU-Embleme (die sogenannten "Kaulquappen"). Der Verkäufer der NSU hatte diese wieder unter einer dicken Schicht Spachtelmasse entdeckt und freigelegt. Womöglich als besseres Verkaufsargument auf dem Markt.


Tatsächlich ist dieses Detail typisch für Nachkriegsfrankreich: Deutsche Marken oder Symbole wurden unkenntlich gemacht, wahrscheinlich um das Fahrzeug unauffälliger bewegen zu können. Ein Adler Trumpf aus meiner Sammlung lief zum Beispiel bis 1956 in Frankreich, jedoch ohne den charakteristischen Adler vorn am Kühlergrill: Er hätte die Franzosen wohl zu sehr an den Reichsadler erinnert. Dass der Adler-Adler bereits 1930/31 von Bauhaus-Gründer Walter Gropius gezeichnet worden war (bekanntlich alles andere als ein NS-Sympathisant), ist ja selbst in Deutschland kaum bekannt.

Vielleicht hat es aber auch mit der Buchstabenkombination NSU zu tun, die eventuell mit "NS" gleichgesetzt wurde und im Nachkriegsfrankreich einfach nicht tragbar war. Eventuell war die Angst des Besitzers zu groß, als ehemaliger Kollaborateur oder Sympathisant der Deutschen eingestuft zu werden, und mit kaschierten Emblemen würde die Maschine nur Spezialisten ihre Herkunft verraten.


Allzu gerne würde ich noch lebende Zeitzeugen befragen. Die Fahrzeuge, die wir aus dem Osten (Russland, Ukraine, Baltikum) kennen, tragen meist noch alle die deutschen Markensymbole. Oder mindestens einen Mercedes-Stern, selbst wenn sie mit dieser Marke gar nichts zu tun haben. Obwohl das Kriegstrauma, was die Wehrmacht im Osten verursachte, wohl kaum geringer als das in Frankreich gewesen sein mag, waren die Franzosen wohl besonders darauf aus, die Anwesenheit der Besatzer aus Alltag und Gedächtnis zu tilgen.

Die kleine NSU wäre ein ideales Objekt, um das Phänomen der übriggebliebenen deutschen Fahrzeuge im Nachkriegs-Frankreich zu dokumentieren. Hoffentlich wird sie nicht auf Neu geschminkt und ihrer historisch aufschlussreichen Spuren beraubt. Sie wäre ein sehr gutes Exponat für jedes historische Museum.

Kosten sollte sie übrigens 2800€. Als ich am Abend zurück zum Auto lief, war sie nicht mehr da. Verkauft...